Porsche 718 Spyder: Operation geglückt, Patient bebt (2024)

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Autogramm Porsche 718 SpyderOperation geglückt, Patient bebt

Rau, ungehobelt und mit einem modifizierten Motor aus dem 911 versehen: Der 718 Spyder ist ein Porsche, wie es ihn eigentlich nicht mehr gibt. Das bezahlen Kunden mit viel Geld - und Fingernägeln.

VonTom Grünweg

Der erste Eindruck: Mit seinen beiden Höckern wirkt der Wagen ziemlich radikal.

Das sagt der Hersteller: "Wieder so ein Auto, das keiner braucht." Selten war ein Werbeslogan so wahr wie der, mit dem Porsche auf Plakaten in Zuffenhausen die Premiere des neuen 718 Spyder begleitet hat. Denn die Roadster-Variante des Boxster ist übermotorisiert, überteuert und mit ihrem komplizierten Verdeck obendrein noch unpraktisch. Wahr ist wohl aber auch der Nachsatz, den die Schwaben aufs Plakat gedruckt haben: "Aber das jeder haben will."

Das liegt wohl auch am Wandel des 911. Der hat seinen Charakter als beinharter, sportlicher Kern der Marke längst verloren und ist zu einem komfortablen, üppig ausgestatteten und in seinen Dimensionen deutlich gewachsenen Auto geworden, das möglichst viele solvente Kunden ansprechen soll. Oberklasse-Mainstream, sozusagen.

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Porsche 718 Spyder: Sechser im Lotto

Foto: Porsche

Baureihenleiter Jan Roth bestätigt das. Der 911 biete eine "breite Produktpalette, die vom Design- und Lifestyle-orientierten Targa bis zum rennstreckentauglichen GT2 reicht. Das macht ihn zum Allrounder." Beim 718 Spyder eifert Roth den entkernten Varianten des großen Bruders ein wenig nach. "Das ist das sportlichste Derivat der offenen 718-Modelle." Er will damit vor allem Puristen ansprechen, die auf kurvigen Straßen den klassischen, ungefilterten Fahrspaß erleben wollen.

Das ist uns aufgefallen: Der Drehzahlmesser. Beim Spyder reicht der Arbeitsbereich noch einmal 500 Umdrehungen höher als bei anderen Modellen von Porsche, der rote Strich steht erst bei 8000 Umdrehungen pro Minute. Statt des sonst im 718 verbauten Turbo-Vierzylinders orgelt direkt hinter den Sitzen im Spyder der womöglich letzte Saugmotor, den Porsche in einem Straßensportwagen versenken wird: Sechs Zylinder im Boxer-Schema angeordnet und mit vier Litern Hubraum erreichen ihr maximales Drehmoment von 420 Nm bei 5000 bis 6800, ihre maximale Leistung von 420 PS bei 7600 und ihr Limit erst bei 8000 Touren. Werte, von denen man im Boxster bislang nur träumen konnte.

Verschraubt ist das Triebwerk mit einem wunderbar knackigen und bisweilen auch ruppigen und deshalb authentischen Getriebe. Damit auch Ungeübte ihren Spaß haben, lockt auf dem Mitteltunnel die Auto-Blip-Taste: Ist die gedrückt, feuert die Elektronik beim Gangwechsel mit Zwischengas, reduziert so die Drehzahlsprünge beim Herunterschalten, erhöht die Fahrstabilität und reduziert obendrein den Verschleiß. So fährt man den offenen Zweisitzer fast ständig am Limit und dreht die Gänge lustvoll aus.

Ansonsten hat sich Porsche in Sachen elektronischer Unterstützung zurückgehalten. Klar, es gibt eine Stabilitätskontrolle, und man kann die Klappensteuerung im Auspuff aktivieren. Doch Albernheiten wie ein Mode-Schalter für unterschiedliche Fahrprofile am Lenkrad, einen Regenwarner wie im neuen Elfer oder ein Abstandsradar hat der Spyder nicht. Dafür aber ein Rennsportfahrwerk aus dem Schwestermodell Cayman GT mit 30 Millimetern weniger Bodenfreiheit und einer neuen Achskonstruktion, Kategorie ultrahart.

In die Kategorie Härtefall gehört auch das Verdeck. Das sieht zwar spektakulär aus, ist aber hoffnungslos unpraktisch und taugt deshalb eigentlich nur als Prüfstein für die wahre Liebe: Wem das Gefriemel zu kompliziert ist, wer der Fahrfreude nicht auch ein paar Fingernägel zu opfern bereit ist, der hat den Spyder einfach nicht verdient.

Das muss man wissen: Der Spyder kommt nach den Sommerferien in den Handel und kostet stolze 93.350 Euro. Damit ist er nicht nur 13.000 Euro teurer als der bislang stärkste Boxster und liegt fast schon unverschämte 15.000 Euro über dem Vorgänger von 2015. Sondern er schiebt sich damit auch bis auf 25.000 Euro an den Elfer heran - der obendrein mit seinen 385 PS zehn Prozent weniger Leistung hat.

Dabei macht der Spyder deutlich mehr Spaß als der Elfer und fährt fast genauso schnell. Immerhin sprintet er nicht nur in 4,4 Sekunden von 0 auf 100, sondern knackt bei Vollgas zum ersten Mal - wenn auch nur knapp - die 300er-Marke. Trotz des hohen Preises weiß Porsche um die Attraktivität des Konzepts und verzichtet deshalb diesmal auf die sonst übliche Limitierung. Der Sypder wird so lange verkauft, bis der Boxster ausläuft, sagt Pressesprecher Holger Eckhardt - was freilich nicht mehr ganz so lange auf sich warten lässt.

Das dürfte auch die Buchhalter freuen. So teuer der Spyder für die Kunden ist, war er in der Entwicklung ein vergleichsweise billiges Projekt: Der Motor basiert, wenn auch mächtig modifiziert, auf einem Triebwerk aus dem großen Bruder 911. Die Transplantation war vergleichsweise problemlos. Das Leichtbauverdeck ist vom Vorgänger bekannt. So richtig neu ist deshalb nur die Aerodynamik, die vor allem von einem neuen Diffusor am Heck lebt. Weil der Auspuff weniger Platz braucht, kann nun mehr Luft unter dem Wagen hindurch strömen und so erstmals beim Boxster Abtrieb an der Hinterachse erzeugen. Auch das ist ein Grund, weshalb der Zweisitzer förmlich am Asphalt klebt.

So, wie es den Boxster nie ohne den Cayman gibt, kommt auch der Spyder nicht allein: Porsche baut den gleichen Motor ebenfalls ins Coupé, montiert statt des knappen Verdecks einen großen Spoiler und verkauft das Ganze für nicht minder unbescheidene 96.206 Euro dann bald als Cayman GT4.

Das werden wir nicht vergessen: Elektrisch das Dach entriegeln, von Hand die Finnen im Heckdeckel lösen, zusammenklappen, um 180 Grad drehen und im Verdeck einrasten, Deckel lupfen, Dach nach hinten klappen und dann alles wieder schön sauber schließen. Das ist das Prozedere, wenn man offen fahren will. Mit dem 911 wäre man schon längst auf der Überholspur. Beim Spyder steht man in derselben Zeit noch immer hinter dem Auto, frickelt am Verdeck und hat ein wissendes Lächeln auf den Lippen: Es ist nur das Vorspiel für ein Vergnügen, das weder der normale Boxster noch der Elfer so bieten können.

Anmerkung der Redaktion: Ursprünglich hieß es im Text, der Motor stamme unverändert aus dem 911, er ist jedoch erheblich modifiziert. Wir haben die Passage entsprechend präzisiert und zudem klargestellt, dass genau dieser Motor auch nicht im Porsche 991 verbaut war, wie es in einer früheren Fassung und einer Anmerkung unter dem Text hieß.

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